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Jahr für Jahr fliegen sie im Frühjahr ein. Und zwei Monate später fliegen sie freiwillig weiter. Mit gut einem Kilo Übergewicht und einem vollen Magen – ausgerechnet in Richtung Sibirien. Auch in diesem Jahr sind wieder Tausende Nonnengänse auf norddeutschen Wiesen und Auen gelandet. Auch in der Wedeler Marsch machten sie Halt, einem großen, grünen Gelände entlang der Elbe an der Grenze zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein. Die Felder und die vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) angelegten Teiche stehen hier unter Landschafts- und Vogelschutz. Ein kleines Paradies also für zahlreiche Vogelarten und andere Tiere, und deshalb Ziel für viele Wanderer, Spaziergänger oder Fotografen aus der ganzen Nachbarschaft. Auch ich machte mich vor ein paar Tagen auf den Weg in das grüne Stück Land entlang der Elbe, um die großen Vögel zu fotografieren.
Gänse im Anflug, wie bei Hitchkoks “Die Vögel”
Doch die Enttäuschung war zunächst groß, denn von den Gänsen, die eigentlich “Weißwangengänse” heißen, die aber aussehen, wie verkleidete Nonnen, war zunächst kaum etwas zu sehen. Sollten sie tatsächlich schon abgeflogen sein in Richtung Sibirien??? Warum ausgerechnet Sibirien. Doch sicher nicht aus Solidarität mit Herrn Putin, dachte ich. Natürlich fliegen sie nicht wegen eines menschlichen Despoten gen Osten. Der Vogelzug, der tief in den Genen der Vögel verankert ist, hat triftige ökologische Gründe:
Sibirien ein Schlaraffenland für Wildgänse
Nonnengänse fliegen im Frühjahr nach Sibirien weiter, weil dort ihre Brutgebiete liegen. Dort gibt es nämlich optimale Brutbedingungen im Sommer. In der arktischen Tundra dieser riesigen Region ist es im Sommer immer noch vergleichsweise kühl, aber hell und trocken. Das sind ideale Bedingungen für die Aufzucht der Jungen, die nicht selten schon vor ihrem Abflug – etwa in der Wedeler Marsch gezeugt wurden. Zusätzlich stören weniger Raubtiere als in Mitteleuropa die Brut und deren Aufzucht. Und dann erst die Nahrung!!! Von der finden die Gänse vor Ort durch die klimatischen Gegebenheiten alles im Überfluss. Also beste Voraussetzungen für eine gesunde Vermehrung. Denn die Tiere, Alt- und Jungtiere müssen sich ja schon nach weiteren zwei Monaten wieder auf den Tausende Kilometer langen Rückflug nach Mitteleuropa machen. Ein weiterer wichtiger Grund für die Bevorzugung der sibirischen Tundra sind die sicheren Brutplätze, denn die abgelegenen, menschenarmen Regionen Sibiriens bieten weitgehenden Schutz vor Störungen und Fressfeinden.
Gefiederte Koexistenz
In Mitteleuropa dagegen und vor allem hier in Norddeutschland sind die Flächen, die den Nonnengänsen zur Verfügung stehen, ziemlich begrenzt, und Wiesen und Felder sind schnell kahl gefressen, was unseren Landwirten so gar nicht gefällt (kann man es ihnen verübeln???) – Was die Wedeler Marsch angeht, bestätigte sich meine Sorge nicht. Die großen Vögel waren da. Plötzlich sah ich einen großen Schwarm im Anflug. Und Sekunden später landeten die meisten von ihnen auf den Tümpeln und Teichen an der Vogelstation des NABU. wo sie sich, aufgeregt schnatternd, auf dem Wasser niederließen. Die anwesenden Wasservögel, Nilgänse, Brandgänse, Graugänse und zahlreiche Kormorane störte das überhaupt nicht. auch nicht den hier eher seltenen Silber-Reiher, der mit seinen langen, schwärzlichen Beinen wie festgemauert im flachen Wasser stand und wohl auf Beute wartete. Inzwischen beobachtete ich noch ein paar Raubvögel in größerer Höhe kreisen und eine Rabenkrähe, die einen im Sturzflug attackierte, der sich daraufhin aus dem Staub machte. Immer wieder spannend war zu sehen, wie die Zugvögel in kleineren Gruppen schon ihren Formationsflug übten, der im Flug nach Osten den Luftwiderstand verringern soll. Lustig und tolpatschig dagegen sieht es aus, wenn die kräftigen Vögel vom Wasser aus starten oder landen. Aber im Flug ist das alles vergessen. In jedem Fall sind die Tiere im Frühjahr und Herbst einen Ausflug wert.
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English translation:
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Year after year, they arrive in spring. And two months later, they fly on voluntarily. With a good kilo of excess weight and a full stomach – heading for Siberia, of all places. This year, thousands of barnacle geese have once again landed on the meadows and floodplains of northern Germany. They also stopped off in the Wedeler Marsch, a large green area along the Elbe on the border between Hamburg and Schleswig-Holstein. The fields and ponds created by the Nature and Biodiversity Conservation Union (NABU) are protected as a landscape and bird sanctuary. It is a small paradise for numerous bird species and other animals, and therefore a destination for many hikers, walkers and photographers from all over the neighbourhood. A few days ago, I also made my way to this green piece of land along the Elbe to photograph the large birds.
Geese in flight, like in Hitchcock’s ‘The Birds’
But at first I was very disappointed, because there was hardly any sign of the geese, which are actually called ‘white-fronted geese’ but look like nuns in disguise. Had they really already flown off to Siberia? Why Siberia of all places? Surely not out of solidarity with Mr Putin, I thought. Of course they’re not flying east because of a human despot. Bird migration, which is deeply ingrained in the birds’ genes, has valid ecological reasons:
Siberia, a paradise for wild geese
Barnacle geese fly on to Siberia in spring because that is where their breeding grounds are. The conditions there are ideal for breeding in summer. In the Arctic tundra of this vast region, it is still relatively cool in summer, but bright and dry. These are ideal conditions for rearing young, which are often bred before they leave, for example in the Wedeler Marsch. In addition, there are fewer predators than in Central Europe to disturb the breeding and rearing. And then there’s the food! Thanks to the climatic conditions, the geese find everything they need in abundance. These are ideal conditions for healthy reproduction, as the animals, both old and young, have to make the thousands of kilometres long return flight to Central Europe after only two months. Another important reason for preferring the Siberian tundra is the safe breeding grounds, as the remote, sparsely populated regions of Siberia offer extensive protection from disturbance and predators.
Feathered coexistence
In Central Europe, on the other hand, and especially here in northern Germany, the areas available to barnacle geese are quite limited and meadows and fields are quickly stripped bare, which our farmers do not like at all (can you blame them???) – As far as the Wedeler Marsch is concerned, my concerns were not confirmed. The large birds were there. Suddenly, I saw a large flock approaching. Seconds later, most of them landed on the ponds and pools at the NABU bird sanctuary, where they settled on the water, chattering excitedly. The water birds present, Egyptian geese, barnacle geese, greylag geese and numerous cormorants, were not disturbed at all. Nor was the rather rare great white egret, which stood as if rooted to the spot in the shallow water with its long, black legs, probably waiting for prey. Meanwhile, I observed a few birds of prey circling at a higher altitude and attacking a carrion crow in a dive, which then took off. It was always exciting to see how the migratory birds practised their formation flying in smaller groups, which is intended to reduce air resistance as they fly east. It looks funny and clumsy when the powerful birds take off or land from the water. In any case, the animals are worth a trip in spring and autumn.
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