Die Königin der Drag-Queens, Olivia Jones, beim CSD in Hamburg

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Wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt zeigt die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) ihre politischen Zähne. Als Vorsitzende bei Bundestagsdebatten geht sie nicht nur  rigoros und oft im Feldwebelton gegen Regelverstöße von Abgeordneten vor. Nun gab sie auch noch bekannt, dass sie nicht zulasse, dass die weltweit als Symbol gegen die Verfolgung “sexuell andersdenkender” Menschen gedachte Regenbogenfahne am 26. Juli, der Christopher Street Day-Parade in Berlin auf dem Reichstag gehisst wird.

Dass ausgerechnet ihre Amtsvorgängerin, die neue SPD-Ko-Vorsitzende Bärbel Bas, kurz darauf ähnliches für ihr neues Arbeitsministerium verkündete, führte auch in der eigenen Partei zu Stirnrunzeln. Schließlich hatte Bas und deren CDU-Vorgänger Wolfgang Schäuble diesen symbolischen Akt zuvor stets genehmigt. Eröffnet die Union – ohne Gegenwehr der SPD – damit einen kleinen Kulturkampf nach dem Vorbild der Trump-Regierung in den USA? Sucht die Union von Friedrich Merz schon jetzt etwa die politische Nähe zur AfD? – Oder ist es Zufall, dass Klöckners Parteifreundin Karin Prien wenig später ein Verbot der Gender-gerechten Sprache für ihren Amtsbereich verkündete? 

 kunstvolle Kopfbedeckung – CSD in München

Queere Menschen in Deutschland haben es zurzeit nicht leicht. “Hass und Hetze nehmen zu, Angriffe auf queere Menschen häufen sich”, beklagte die Bundesbeauftrage Sophie Koch am Samstag (4. Juli) vor der Christopher-Street-Day-Parade in Köln. “Jeden Tag werden im Schnitt mindestens sechs Angriffe auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie andere queere Menschen registriert”, meinte ihr Amtskollege Sven Lehmann unter Berufung auf die jüngste Kriminalstatistik des Bundes. Das seien 50 Prozent mehr als vor einem Jahr. Vor allem die CSD-Paraden im ganzen Land würden immer häufiger von rechten und ultra-rechten militanten Gruppen bedroht und angegriffen. Kein Wunder also, dass der CSD-Umzug von Köln an diesem Sonntag (6. Juli) unter verstärktem Polizeischutz und dem trotzigen Motto stand: “Nie mehr leise!”

Es überrascht nicht, dass die Entscheidung Klöckners als Tiefschlag gegen Minderheiten gewertet wurde. In jedem Fall gilt sie als ein “illiberaler” Fußabdruck der Unions-Rechten in der schwarz-roten Koalition. Dass der bekennend rechtskonservative CDU-Kanzler Friedrich Merz den Schritt mit dem Hinweis goutierte, der Reichstag sei doch “kein Zirkusdach”, tat nichts dazu, die Wogen zu glätten; auch nicht, dass SPD-Chefin Bas sich  dem Flaggenbann anschloss. Und seit die als liberal geltende CDU-Familienministerin Prien die Gender-gerechte Sprache in ihrem Amtsbereich verbot, fürchten Angehörige der LGBTQ-Gemeinschaft, dass die über Jahrzehnte errichteten Dämme gegen Hass und Intoleranz jetzt brechen könnten.

Somewhere under the rainbow – CSD in München

In einer Zeit, in der viele Länder und Städte weltweit Fortschritte in der Gleichstellung der Geschlechter und der sexuellen Orientierungen machen, müssen Entscheidungen mit solcher Symbolkraft als Rückschritt wahrgenommen werden. Kritiker – nicht nur aus der politisch Linken – argumentieren, dass das Hissen der Flagge ein wichtiges Zeichen der Solidarität und Unterstützung für die queere Community wäre; besondere in einem Land, das sich als demokratisch und pluralistisch versteht.

In Deutschland wird die Zahl der Angehörigen der LGBTQ-Gemeinschaft auf etwa sieben Prozent der Bevölkerung geschätzt. Bei den Transsexuellen gehen die Schätzungen von 0,2-0,5 Prozent aus. Würde diese Gruppe geschlossen eine entsprechende LGBTQ-Partei wählen, könnte sie immerhin mit einer Fraktion in Größe der Linken in den Bundestag einziehen. Dass LGBTQ-Gruppen in deutschen Städten jährlich mit etwa 70 schrillen aber friedlichen und fröhlichen Paraden auf sich und die Ungleichbehandlung ihrer Gemeinschaft aufmerksam machen, stößt in konservativen Kreisen jedoch noch immer auf Ablehnung.

Zahlreiche Versuche, nicht nur aus der konservativen Ecke, die Einführung einer Gender-gerechten Sprache gesetzlich zu verbieten, sind bisher zwar gescheitert. Doch wird die als radikal empfundene Umgestaltung der deutschen Sprache mit Hilfe von Schulen, Hochschulen, Ämtern und Ministerien bei repräsentativen Umfragen weiterhin von bis zu 75 Prozent der Bevölkerung strikt abgelehnt.

Teilnehmerinnen an einem CSD in Hamburg

Doch ungeachtet dieses eher akademischen Streits haben Queere, Schwule oder Lesben durchaus Grund, sich massiv bedrängt zu fühlen. Immerhin gab es 2024 mit 1499 Straftaten gegen ihre Gemeinschaft einen Anstieg um 50 Prozent. Die einzig positive Entwicklung: Die Bereitschaft, queer-feindliche Delikte zur Anzeige zu bringen, ist der Statistik zur Folge 2024 größer geworden.

Doch viele in der Gemeinschaft fürchten nun, dass die Entscheidungen von Klöckner, Bas und Prien erst ein Anfang sein könnten. Klöckner wies etwa Vorwürfe wegen ihrer Flaggen-Entscheidung mit dem schlichten Argument zurück, verfolgte Minderheiten gebe es doch überall auf der Welt. Klöckner im Interview mit T-Online: „Die meistverfolgte Gruppe weltweit sind übrigens Christen. Dann müsste ich auch an einem Tag im Jahr zum Beispiel die Vatikanflagge hissen”, meinte sie. “Bei uns (im deutschen Bundestag) weht eine Fahne: Schwarz-Rot-Gold“, meinte Klöckner. „Sie repräsentiert alles, wofür unser Grundgesetz steht: Freiheit, Menschenwürde – und eben auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Keine Fahne steht über ihr.“

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A few weeks after taking office, the new President of the Bundestag, Julia Klöckner (CDU), is showing her political teeth. As chairwoman of Bundestag debates, she not only takes a rigorous and almost military tone against rule violations by members of parliament. Now she has also announced that she will not allow the rainbow flag, which is regarded worldwide as a sign of peace and a symbol against the discrimination of ‘sexually different’ people, to be hoisted on the Reichstag on 26 July, Christopher Street Day-Parde in Berlin. The fact that the new SPD co-chair and former Bundestag president Bärbel Bas announced something similar for her new Ministry of Labour shortly afterwards also caused frowns within her own party. After all, Bas and her CDU predecessor Wolfgang Schäuble had always approved this symbolic act in the past. Is the Union – without resistance from the SPD – thus opening its expected culture war, following the example of the Trump administration in the United States? Is Friedrich Merz’s Union already seeking political proximity to the AfD? Critics see Klöckner’s party colleague Karin Prien’s announcement shortly afterwards of a ban on gender-neutral language in her department as an indication of this.

Queer people are not having an easy time in Germany at the moment. ‘Hate and agitation are on the rise, attacks on queer people are increasing,’ complained Federal Commissioner Sophie Koch on Saturday (4 July) before the Christopher Street Day parade in Cologne. ‘Every day, an average of at least six attacks on lesbian, gay, bisexual, transgender, intersex and other queer people are recorded,’ said her counterpart Sven Lehmann, citing the latest federal crime statistics. That is 50 per cent more than a year ago. CSD parades across the country in particular are increasingly being threatened and attacked by right-wing and ultra-right-wing militant groups. No wonder, then, that the CSD parade in Cologne this Sunday (6 July) was held under the defiant slogan: ‘Never silent again!’

It comes as no surprise that Klöckner’s decision was interpreted as a blow to minorities. In any case, it is seen as an ‘illiberal’ footprint of the Union right in the new Grand-Coalition. The fact that the right-wing conservative CDU chancellor Friedrich Merz approved the move, saying that the Reichstag was ‘not a circus tent,’ did nothing to calm the waters; nor did the fact that the new SPD leader Bas ended up supporting the flag ban. And since the CDU family minister Prien, who had previously been considered liberal, announced a ban on gender-neutral language in her department, members of the LGBTQ community fear, not without reason, that the barriers against hatred and intolerance that have been built up over decades could collapse.

At a time when many countries and cities around the world are making progress in gender equality and sexual orientation, such decisions with symbolic significance must be perceived as a step backwards. Critics, not only from the political left, argue that flying the flag would be an important sign of solidarity and support for the queer community, especially in a country that sees itself as democratic and pluralistic.

In Germany, the number of members of the LGBTQ community is estimated at around seven per cent of the population. Estimates for transsexuals range from 0.2 to 0.5 per cent. If this group were to vote en bloc for an LGBTQ party, it could enter the Bundestag with a parliamentary group the size of the Left Party. The fact that LGBTQ groups in German cities draw attention to themselves and the unequal treatment of their community with up to 70 flamboyant but peaceful and cheerful parades every year is still met with rejection in conservative circles.

Numerous attempts to legally ban the introduction of artificial, gender-neutral language have failed so far. However, representative surveys regularly show that up to 75 per cent of the population strictly reject what they perceive as a radical overhaul of the German language with the help of schools, universities, government agencies and ministries. And yet it is queer people, gays and lesbians who feel under massive pressure. After all, last year saw a 50 per cent increase in crimes against the LGBTQ community, with 1,499 offences reported. The only positive development is that people have become more willing to report queer-phobic crimes over the past year.

But many in the community fear that the decisions made by Klöckner, Bas and Priens could be just the beginning. Klöckner rejected accusations that her decision was directed against a persecuted minority, arguing that persecuted minorities exist all over the world. Klöckner said in an interview: “Incidentally, Christians are the most persecuted group worldwide. Then I would also have to fly the Vatican flag one day a year, for example.‘ ’We (in the German Bundestag) fly a flag: black, red and gold,‘ said Klöckner. ’It represents everything our constitution stands for: freedom, human dignity – and also the right to sexual self-determination. No flag stands above it.”

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