Die kleine Stadt Pushkar im südlichen Rajasthan ist an elf Monaten des Jahres ein beschaulicher Ort. Mit seinen 500 Tempeln bei geschätzten 30 000  Einwohnern gehört der Ort zu den ältesten und gleichzeitig heiligsten Städten Indiens, die hinduistische Pilger vom ganzen Subkontinent anzieht. Besonders die Anhänger des hinduistischen Schöpfer-Gottes Brahma zieht es in die weiße Wüstenstadt in der Thar-Wüste. Denn in Pushkar steht einer der wenigen Brahma gewidmeten Tempel Indiens. Und diese Gottheit sorgte nach der Überlieferung dafür, dass der Ort religiöse Berühmtheit erlangte. Denn der Welten-Schöpfer ließ über der Stadt einst eine Lotos-Blüte fallen, und dort, wo diese den Boden berührte, entstand ein See mitten in der Wüste, dessen sauberes Wasser nun schon seit Jahrhunderten die Gläubigen alljährlich zum heiligen Bad lädt.

Auf insgesamt 52 Ghats (Terrassen) am See herrscht vor allem Nachts Hochbetrieb

Im hinduistischen Monat Kartig (Oktober/November), findet deshalb am Rande der Wüste die religiöse Pushkar-Mela (Fest) statt, die zu den schönsten und farbenprächtigsten Festen auf dem Subkontinent gehört. Gleichzeitig mit dem Fest treffen sich am Rande des Ortes Bauern und Händler in den Dünen der Wüste zu einem großen Kamelmarkt, der den Ruf der Stadt in der ganzen westlichen Welt verbreitet hat. Der Kamelmarkt von Pushkar lässt sich nach Studien von Historikern bis ins 19. Jahrhundert zurück verfolgen. Jahr für Jahr, aus Anlass der berühmten  Vollmond-Nacht des Kartiks, zieht es zehntausende Gläubige zu dem kleinen See, in dem sie sich all ihrer Sünden entledigen wollen.

Vom familiären Fest zum Massentourismus

Meine Frau und ich hatten das große Glück, diese Pushkar-Mela im November 1988 besuchen zu dürfen, als sie noch einem großen Familientreffen der Wüstenbewohner glich. Auch in jenem Jahr trafen sich auf den Hügeln und den überwachsenen Dünen vor der Stadt Hunderte Kameltreiber und Händler, um Tiere zu kaufen oder zu tauschen. Kamele, (in Indien sind dies fast ausschließlich ein-höckrige Dromedare) dienten damals überall im Wüstenstaat Rajasthan als Zugtiere in der Landwirtschaft. Seither aber wurden sie in der Landwirtschaft weitgehend durch modernere Traktoren ersetzt.

Ein Farbenmeer ergießt sich über die Stadt und die benachbarte Wüste. Dazu laute Musik und das schreiende Wiehern der Kamele

Die meisten der Händler kannten sich. Ihre Frauen und Kinder kamen auf altertümlichen und völlig überladenen Traktoren mit zu dem Fest, um die Tiere während des zehntägigen Fests zu versorgen und um sich durch den Bade-Ritus zu “reinigen”. Ziel der Pilgerschaft sind bis heute die 52 Uferterrassen (Ghats) zu dem Heiligen See am Rande der Stadt, wo sich die Gläubigen zum Lautsprecherklang religiöser Gesänge auf ein kurzes Tauchbad vorbereiten. Anschließend geht es in die örtlichen Tempel, vor allem den berühmten Brahma-Tempel. Doch Pushkar zieht nicht nur gläubige Hindus an. Vor allem in den 1960er und 1970er Jahren ließen sich hier auch Hippies aus aller Welt nieder. Auch der Savitri-Tempel lockt Pilger und Touristen, weil er auf einem Hügel liegt, der einen guten Überblick über die umgebende Wüstenlandschaft gibt. 

Pilger blicken auf die Ghats am anderen Ende des Heiligen Sees

Pilger blicken auf die Ghats am anderen Ende des Heiligen Sees

Vom Familienfest zum “Event”

Pushkar ist an den übrigen Monaten des Jahres eine Oase der Ruhe, in der sich westliche Backpacker, Sadhus (heilige Männer) und Pilger begegnen. Diese Stadt lebt vegetarisch, und Alkohol ist hier verboten.


Jahrzehnte lang feierte die Landbevölkerung, überwiegend Bewohner der Wüstenregion, das Fest unter sich. Doch schon in den 1980er Jahren beschränkte die Regierung Rajasthans und auch die Zentralregierung in Neu Delhi den Zugang zu der Mela für Ausländer und andere ortsfremde Gäste, um den traditionellen Charakter der religiösen Feierlichkeiten zu bewahren. Besuchserlaubnisse gab es nur auf Antrag und fast nur für VIPs, Politiker und Diplomaten. Und selbst diese mussten sich bis zu einem Jahr im Voraus für den Besuch anmelden, denn in Pushkar gab es zu jener Zeit praktisch keine Hotelbetten. Die Schlafgelegenheiten in den für Touristen aufgebauten Zelten waren schnell ausgebucht.

Doch im Laufe der seither vergangenen Jahrzehnte entwickelte sich das Fest rund um den Kamelmarkt auf Drängen der Tourismus-Manager zu einem Massen-“Event”, zu dem inzwischen nach Schätzungen jährlich zwischen 200 000 und einer Million Gäste aus aller Welt nach Pushkar reisen. Dort werden ihnen an sieben bis zehn Tagen – neben dem berühmten Kamelmarkt – auch religiöse Zeremonien, Kamelrennen und andere Unterhaltungsprogramme geboten. Selbst Karussele und Riesenräder wurden hier am Rande der Wüste schon von Reisenden gesichtet. Seinen alten, romantischen Reiz aber hat der Kamelmarkt von Pushkar nach Ansicht von Kennern damit eingebüßt.

Die kostbaren Kamele/Dromedare müssen ständig bewacht werden, denn weggelaufene Tiere sind kaum wieder einzufangen

Pushkar wurde zum Spektakel

Heute verwandelt sich die Wüste um den Ort während der Mela in einen riesigen, aber auch lärmigen Jahrmarkt, auf dem kunstvoll aber grell geschmückte Kamele mit bunten Decken, Perlenketten und kunstvollen Rasurmustern auf den Körpern auf neue Besitzer und ausländischen Gäste warten. Zudem haben die Veranstalter noch “Kamel-Schönheitswettbewerbe” im Programm sowie Kamelrennen, traditionelle rajasthanische Tänze und Akrobatikshows.

Für alle, die die alte Mela nicht kannten, bietet der Kamelmarkt heute zwar ein visuelles, aber kommerzialisiertes Spektakel; ein lautes Fest für die Sinne. Anders als vor fast 40 Jahren steht der Tourist im Mittelpunkt, der einst nur stiller Beobachter am Rande war. Händler preisen heute überall ihre Waren lautstark an, traditionelle Musikanten mit den landes-typischen Turbanen spielen auf Trommeln und Flöten, während der Duft von frisch zubereitetem Chai (Tee) und würzigen Currys die Luft erfüllt. Traditionelle Handwerker bieten fein bestickte Textilien, Silberschmuck und kunstvolle Lederwaren als Souveniere an – alles “typisch aus Rajasthan”, und die meisten Touristen kaufen es. Sie genießen diese Mischung aus Tradition, Klamauk und Geschäft. Und wem das alles zu viel wird, der kann sich ja für ein paar Dollar einen Dromedar mieten und eine Kamel-Safari durch die Wüste unternehmen, um – etwa als Maharadscha verkleidet – dem Lärm zu entfliehen.

Ein Farbenmeer ergießt sich über die Stadt. Für die Landbevölkerung ist die Pushkar-Mela ein gesellschaftliches Ereignis

Angesichts dieser Entwicklung sollten sich Indien-Besucher heute fragen, ob sie die 9-stündige Fahrt zu dem “Event” von Neu Delhi in die Pilgerstadt am Rande der Aravalli-Berge wirklich auf sich nehmen sollten? Aber vielleicht bin ich ja ungerecht, weil wir noch das große Glück hatten, den alten, traditionellen Kamelmarkt und die Badezeremonien der Pilger mit großem Staunen zu erleben. Im Zeitalter moderner Traktoren und der Verfügbarkeit moderner PKWs könnten ja die Kamele/Dromedare schon bald zur Seltenheit werden und irendwann nur noch in indischen Zoos zu besichtigen sein. Und so könnte der Kamelmarkt und die Mela schon bald zum Ziel einer nostalgischen Reise in eine unwiederbringliche indische Vergangenheit werden, die die Fahrt nach Pushkar lohnt. CF

Hier finden Sie die Bilder zum Kamelmarkt von Pushkar –

Pushkar: Kamelmarkt in der Wüste (Galerie)

 

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English translation (by DeepL)

The small town of Pushkar in southern Rajasthan is a tranquil place for eleven months of the year. With its 500 temples and an estimated 30,000 inhabitants, the town is one of the oldest and most sacred in India, attracting Hindu pilgrims from across the subcontinent. Devotees of Brahma, the Hindu god of creation, are particularly drawn to the white desert city in the Thar Desert. This is because Pushkar is home to one of the few temples in India dedicated to Brahma. According to tradition, it was this deity that ensured that the place achieved religious fame. The creator of the world is said to have dropped a lotus blossom over the city, and where it touched the ground a lake formed in the middle of the desert, whose clean water has been inviting believers to take a holy bath every year for centuries.

In the Hindu month of Kartig (October/November), the religious Pushkar Mela (festival) takes place on the edge of the desert, which is one of the most beautiful and colourful festivals on the subcontinent. At the same time as the festival, farmers and traders meet in the dunes of the desert on the outskirts of the town for a large camel market, which has spread the town’s reputation throughout the western world. According to historians, the camel market of Pushkar can be traced back to the 19th century. Year after year, on the occasion of the famous full moon night of Kartik, tens of thousands of believers are drawn to the small lake, in whose waters they want to get rid of all their sins.

From family celebration to mass tourism

My wife and I had the good fortune to visit the Pushkar Mela in November 1988, when it resembled a large family gathering of desert dwellers. This year, hundreds of camel drivers and traders gathered on the hills and overgrown dunes outside the city to buy or trade animals. Camels (in India these are almost exclusively one-humped dromedaries) were used as draft animals in agriculture throughout the desert state of Rajasthan. Since then, however, they have been largely replaced by more modern tractors in agriculture.

Most of the traders knew each other. Their wives and children came to the festival on ancient and completely overloaded tractors to take care of the animals during the ten-day festival and to ‘purify’ themselves through the bathing rite. The destination of the pilgrimage is still the 52 riverbank terraces (ghats) on the edge of the city, where the faithful prepare for a brief plunge with the sound of religious chants coming from loudspeakers. Afterwards, they go to the local temples, especially the famous Brahma Temple. But Pushkar attracts not only devout Hindus. In the 1960s and 1970s, hippies from all over the world settled here. The Savitri Temple also attracts pilgrims and tourists because it is located on a hill that offers a good view of the surrounding desert landscape.

From family festival to ‘event’

During the remaining months of the year, Pushkar is an oasis of calm, where Western backpackers, Sadhus (holy men) and pilgrims come together. The city’s population is vegetarian, and alcohol is banned here.

For decades, the rural population, mostly residents of the desert region, celebrated the festival among themselves. But as early as the 1980s, the government of Rajasthan and the central government in New Delhi restricted access to the Mela for foreigners and other non-local guests in order to preserve the traditional character of the religious festivities. Permission to visit was only granted on application and almost exclusively to VIPs, politicians and diplomats. Even they had to register their visit up to a year in advance, because at that time there were practically no hotel beds in Pushkar. The sleeping accommodation in the tents set up for tourists was quickly booked out.

But in the decades since, the festival around the camel market has developed into a mass event at the urging of tourism managers. It is now estimated that between 200,000 and one million guests from all over the world travel to Pushkar for the festival every year. In addition to the famous camel market, religious ceremonies, camel races and other entertainment programmes are also offered to them there for seven to ten days. Even carousels and Ferris wheels have been spotted here by travellers on the edge of the desert. However, according to experts, the camel market in Pushkar has lost its old, romantic charm as a result.

Pushkar has become a spectacle

Today, the desert around the town is transformed into a huge, but also noisy fairground during the Mela, where artfully but garishly decorated camels with colourful blankets, pearl necklaces and artistic shaving patterns on their bodies wait for new owners and foreign guests. The organisers also have ‘camel beauty contests’ in the programme, as well as camel races, traditional Rajasthani dances and acrobatic shows.

For those who did not know the old Mela, the camel market today offers a visual, but commercialised spectacle; a noisy celebration for the senses. Unlike almost 40 years ago, the focus is on the tourist, who was once only a silent observer on the sidelines. Today, traders loudly advertise their wares everywhere, traditional musicians with the country-typical turbans play on drums and flutes, while the scent of freshly prepared chai (tea) and spicy curries fills the air. Traditional craftsmen offer finely embroidered textiles, silver jewellery and artistic leather goods as souvenirs – everything ‘typically from Rajasthan’, and most tourists buy it. They enjoy this mixture of tradition, racket and business. And if all this becomes too much for you, you can always hire a dromedary for a few dollars and take a camel safari through the desert, dressed up as a maharaja, for example, to escape the noise.

A sea of colour washes over the city and the neighbouring desert. Loud music and the shrill neighing of the camels, which are actually dromedaries, can be heard

In view of this development, visitors to India today should ask themselves whether they really want to take on the nine-hour journey from New Delhi to the pilgrimage site at the edge of the Aravalli Mountains. But maybe I’m being unfair, because we still had the great good fortune to experience the old, traditional camel market and the bathing ceremonies of the pilgrims with great amazement. In the age of modern tractors and the availability of modern cars, camels and dromedaries could soon become a rarity and at some point only be seen in Indian zoos. And so the camel market and the mela could soon become the destination of a nostalgic journey into an irretrievable Indian past, making the trip to Pushkar worthwhile. CF