Einsamer Baum im Winter. Röthenbach/St. Wolfgang

English translation at the end of the feature

Am Anfang stand die Handarbeit

Es geschah in Paris im Sommer 1966. Klassenfahrt ein Jahr vor dem Abitur und Hochsommerwetter. Anders als heute war die Stadt zu jener Zeit fast leer. Ganz Frankreich schien in den Ferien. Die Gegend um den Eiffelturm und der Trocadero waren am frühen Abend wie ausgestorben. Natürlich nutze ich den freien Blick, um die ersten Bilder meines Lebens mit einer richtigen Kamera zu machen. Einer Voigtländer Kamera mit einem Balgen-Objektiv, geliehen von meinem großzügigen Schwager. Da an dieser Kamera (eventuell noch ein Vorkriegsmodell) alles mechanisch und manuell funktionierte und selbst Schwarzweiß-Filme für einen Schüler recht teuer waren,  blieb es an diesem Abend bei einigen wenigen Aufnahmen des unübersehbaren Turms mit einigen Klassenkameraden im Vordergrund. Entfernung auf unendlich gestellt, Film mit der Hand an einem Rad auf der rechten Seite transportiert und den Verschluss mit dem Zeigefinger und einem Hebelchen rechts gespannt. Dann mit dem geliehenen Belichtungsmesser Belichtung und Blende bestimmt und “Klick”, war das erste Bild “im Kasten”. Serienaufnahmen waren im mechanischen Zeitalter Illusion. Auch Belichtungs-Experimente konnte man sich nicht leisten, zumal man ja auf das Urlaubsende warten musste, um die Resultate zu sehen.

Der Weg ins Licht. Lange mein Lieblingsbild

Paris war an allem schuld

Wieviele Schwarzweißfilme ich auf dieser Klassenfahrt “verknipst” habe, weiß ich nicht mehr. Es waren aber sehr wenige für eine der schönsten Städte der Welt, die ich auch damals schon (in Ermangelung bekannter Alternativen) zur schönsten Stadt der Welt erklärte. In diesem Alter musste man sich einfach in Paris verlieben. Dazu kam noch ein wenig Rotwein und der alkoholfreie Créme de Menthe, jener stark grün gefärbte Pfefferminz-Sirup an dem man sich stundenlang mit frischem Wasser und neuem Eis festhalten konnte, ohne vom Kellner belästigt zu werden. 

Die Bilder von den Sehenswürdigkeiten und den jungen Leuten unten an der Seine waren – wie sich bald herausstellte – gelungen. Eines ließ ich mir als Plakat vergrößern und das Mädchen darauf schaute mir jahrelang aus allen Blickwinkeln in die Augen. Ich brauchte ziemlich lang, bis ich mir dieses Phänomen erklären konnte. Sie war nicht etwa in den Fotografen verliebt, sondern hatte lediglich direkt in das Objektiv geschaut.

ca 1976 Sandbahn-Rennen mit Beiwagen in Kiel

Analog war immer verletzlich

Egalwie, Paris und die alte Kamera waren Schuld an meiner Leidenschaft für Fotografie. Im Jahr danach kaufte ich meine erste Spiegelreflexkamera und begann ernsthaft zu fotografieren. ich experimentierte mit Bildgestaltung. Zu Geburtstagen und Weihnachten ließ ich mir Filme schenken. Vor allem die teuren Diafilme. SW-Film entwickelte ich selbst. Anregungen gab es natürlich überall. Etwa vom Kunstprofessor Harald Mante, der versuchte, die Bildgestaltung vor allem in der Farbfotografie zu verändern.

Mit den jeweils neuen Kameras wuchsen auch die Ansprüche. Der erste TTL-Belichtungsmesser, die erste Belichtungsautomatik. Der erste Zoom. Experimente mit dem Schiebezoom, Unschärfe durch schnelle Brennweitenveränderungen wurden zur Mode-Erscheinung. Versuche in Sport-Fotografie. Reportagefotografie seit der Ausbildung bei meiner Agentur ab 1975. Dann kam Indien 1984-1989. Manchmal die Hölle an Lebensbedingungen, aber manchmal ein Paradies für den Fotografen. Gleichzeitig die Erkenntnis, dass tropische Klimabedingungen Gift für nicht perfekt gelagerte SW-Negative sein können. Viele meiner Negativ-Hüllen in indien und später in Israel wurden von Pilzen zerstört. Die analogen Bilder, die blieben, waren fast ausschließlich Farbaufnahmen.

Der Außenseiter, 1972

Der Job als Spaßverderber

Israel und Nahost verdarben mir die Lust am Fotografieren, und in den 1990er Jahren fotografierte ich nur noch gelegentlich auf unseren Urlauben. Vielleicht hatte mir die Realität meines Jobs die Lust genommen. In meiner Schreibtischschublade lag eine Tüte mit insgesamt 20 belichteten SW-Filmen aus Israel, die ich nie entwickelte. Erst zehn Jahre später, zurück im “Gelobten Land”, ließ ich sie entwickeln, aber sie waren überwiegend verdorben. Und seit dem Jahr 2000 fotografierte ich nur noch digital. Und ganz sicher wurden die vergangenen 25 Jahre die kreativsten meines Lebens mit belichteten Bildern

Auf der Weide, bei Itzehoe 1975

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English translation

It Happened in Paris in the Summer of 1966

A school trip to Paris one year before graduation and high summer weather. Unlike today, the city was almost empty at that time. All of France seemed to be on vacation. The area around the Eiffel Tower and the Trocadero was deserted in the early evening. Naturally, I took advantage of the unobstructed view to take the first photographs of my life with a real camera—a Voigtländer camera with a bellows lens, borrowed from my generous brother-in-law. Since this camera (possibly a pre-war model) was entirely mechanical and manual, and even black-and-white films were quite expensive for a student, I limited myself that evening to just a few shots of the unmistakable tower with some classmates in the foreground. I set the focus to infinity, advanced the film manually using a wheel on the right side, and cocked the shutter with a small lever. Then, using the borrowed light meter, I determined the exposure and aperture, and with a click, the first picture was “in the box.” Continuous shooting was an illusion in the mechanical age. Exposure experiments were also a luxury one couldn’t afford, especially since we had to wait until after the trip to see the results.

The Path to Light

The path to light—long my favorite picture.

I no longer remember how many black-and-white films I used on this school trip, but it was only a few for one of the most beautiful cities in the world, which I had already declared the most beautiful due to the lack of known alternatives. At that age, one simply had to fall in love with Paris. A little red wine and the non-alcoholic Crème de Menthe—a strongly green-colored peppermint syrup that one could sip for hours with fresh water and ice—added to the experience.

The pictures of the sights and the young people down by the Seine turned out well, as it soon became clear. I had one enlarged into a poster, and for years, the girl in the picture looked me in the eyes from every angle. It took me quite a while to understand why. She wasn’t in love with the photographer—she had simply looked directly into the lens.

Sports photography was far from easy fifty years ago. The lenses had limited light sensitivity, zoom lenses didn’t exist, and there was no autofocus. One always had to anticipate and set focus on a specific point to get sharp images.

Circa 1976: Egon Müller, Speedway World Champion from Kiel

One way or another, Paris and that old camera were responsible for my passion for photography. The following year, I bought my first SLR camera and started taking photography seriously. I experimented with composition. For birthdays and Christmas, I asked for film—especially the expensive slide films. I developed black-and-white film myself. Inspiration was everywhere, including from art professor Harald Mante, who sought to change photographic composition, especially in color photography.

With each new camera, my ambitions grew. The first TTL light meter, the first automatic exposure, the first zoom lens. Experiments with zoom blur and intentional motion became fashionable. Trials in sports photography. Reportage photography since my training at an agency in 1975. Then came India from 1984 to 1989. Sometimes it was hell in terms of living conditions, but sometimes a paradise for photographers. At the same time, I realized that tropical climates were disastrous for improperly stored black-and-white negatives. Many of my negative sleeves in India and later in Israel were destroyed by fungi. The analog images that survived were almost exclusively color photographs.

The Outsider

The Outsider, 1972

Israel and the Middle East dulled my enthusiasm for photography, and by the 1990s, I only took occasional pictures during vacations. Perhaps the realities of my job had drained my passion. In my desk drawer lay a bag with a total of twenty exposed black-and-white films from Israel that I never developed. A decade later, back in the “Promised Land,” I finally had them processed, but most were ruined. Since the year 2000, I have only shot digitally. And undoubtedly, the past twenty-five years have been the most creative of my life in terms of captured images.

A Pasture Near Itzehoe

On the pasture, near Itzehoe, 1975.