Bettler-Rat in Vrindhaban
English version following this feature
Mein erster Eindruck von Vrindaban war denkbar schlecht. Die Straßen dieser kleinen Stadt, auf halbem Weg von New Delhi nach Agra, verstaubt und eng; das Stadtbild eher hässlich und unscheinbar, und die Gerüche, die einem beim Betreten der Altstadt auf dem Weg zum Yamuna-Fluss in die Nase stiegen, waren alles andere als betörend. Für westliche Augen und Nasen wirkte der Ort, der wegen seiner tiefen Verbindung zu Lord Krishna (einer der wichtigsten Hindu-Gottheiten) alljährlich hunderttausende Hindu-Pilger anzieht, fast schon abstoßend. Dazu waren die engen, verwinkelten Gassen mit Bettlern aller Kategorien überfüllt, und aus vielen Häusern und den zahlreichen kleinen und großen Tempeln schallte eine Kakophonie unterschiedlicher geistlicher indischer Musik, aber auch plärrende Schlager in Hindi. Ich wurde nach kurzer Zeit in einer engen Gasse vom Gehörn einer Heiligen Kuh gerammt, was einen tiefblauen Fleck hinterließ.
Dhobis (Wäscher) und Pilger am Ufer des Yamuna
Wäscher, Pilger und auch mal ein Wildschwein
Wenig später erreichten wir das Ufer des Yamuna-Flusses: Am anderen Ufer standen zahlreiche Männer und Frauen, meist sehr dürftig bekleidet, und schienen dort Wäsche im reichlich verschmutzten Wasser des Flusses regelrecht zu verprügeln. Es waren Dhobis, berufsmäßige Wäscher, die für ganz wenig Geld die Wäsche der Bevölkerung waschen. Der überwältigende Teil der Bevölkerung Indiens hat weder die Wohnungen, noch das Geld für eine Waschmaschine. Wenn man diesen Menschen bei der harten Arbeit im fließenden Wasser zuschaut, fragt man sich allerdings, wie es möglich ist, dass auch einfache und relativ arme Inder ihre Wäsche trotz der rauhen Behandlung oft so weiß bekommen (Vielleicht ist ja hier die Sonne der “Weißmachen”). Zwischen den Dhobis wimmelte es von Pilgern, die sich – leicht oder kaum bekleidet – im seichten Wasser des Yamuna selbst versenkten. Ich fotografierte das Treiben am Wasser ausgiebig. Auch die diversen Tiere – vom Wildschwein bis zum Graureiher und natürlich den heiligen Kühen oder Wasserbüffeln – sowie die Bettler, die in Vrindaban allgegenwärtig sind.
Witwen-Ashram: Beten um zu überleben
Das traurige Los der Witwen von Vrindaban
Auf dem Rückweg durch die engen Gassen kam der Schock. Plötzlich standen wir vor einem großen alten Haus, in das von allen Seiten alte Frauen in weißen, dünnen Saris eintraten. Es war Gebetszeit! Natürlich wussten wir von den Witwen-Ashrams in Vrindaban, und dass hier die Ärmsten der Armen gezwungen seien, täglich stundenlang zu beten, um sich ihr kärgliches Essen zu verdienen. Doch der erbärmliche Anblick alter, oft fast vollständig verhüllter Frauen, auf dem Boden hockend, schmerzte mehr, als ich es erwartet hatte. Doch, was uns Menschen vor Ort über die Behandlung der hilf- und schutzlosen Frauen erzählten, sagte letztlich mehr über den Zustand der indischen Gesellschaft aus, als über diese Ashrams selbst. Vor allem im bevölkerungsreichen Norden geraten Frauen sehr oft in existentielle Not, wenn sie nach dem Tod ihres Mannes allein zurück bleiben. Versicherungen und Renten gibt es vor allem auf dem Lande nicht, wo 75 Prozent der Bevölkerung lebt.
Mathura – Geburtsort Krishnas und Paradies für Heilige Kühe?
Die Badetanks von Mathura
Meine Begegnungen mit Mathura (mehr als 200 000 Einwohner), das nur wenige Kilometer von Vrindaban entfernt ist, waren weniger emotional. Alles an dieser Stadt ist größer, die Straßen nicht so eng, aber ähnlich schmutzig, und irgendwie scheint es hier noch mehr dieser Heiligen Kühe zu geben, die alles verfuttern, was irgendwie zu Kauen ist, und die dennoch weit mehr als geduldet werden. Hier sahen wir auf dem Weg zum Ufer des Yamuna erstmals Kühe im 1. Stock eines Wohnhauses stehen. als lebten sie in einer anderen Welt. Vermutlich zieht der Geburtsort eines göttlichen Nachwuchses wie Krishna auch noch mehr Pilger an, als das kleinere Vrindaban, wo der junge und fröhliche Krishna – einem Eulenspiegel ähnlich – seinen Schabernack mit den Menschen trieb. Hier erschien der Yamuna-Fluss breiter, Die Pilgerboote größer. Aber am meisten beeindruckten uns hier mehrere riesige “Tanks”. Riesigen Schwimmbädern ähnliche Tiefbauwerke mit zahllosen Treppen, auf denen die Pilger zu ihrem heiligen Tauchbad kommen können.
Fotos von Vrindaban und Mathura und diesen “Tanks” finden Sie auf dieser Seite
HINTERGRUND
Mathura gilt als die Geburtsstadt von Lord Krishna, einer der wichtigsten Gottheiten im Hinduismus. Die Stadt ist ein bedeutendes Pilgerziel und zieht Gläubige aus der ganzen Welt an. Die Legenden um Krishna, insbesondere seine Kindheit und Jugend, sind tief in der Kultur und Spiritualität der Region verwurzelt. Mathura ist bekannt für seine Tempel, darunter den Krishna Janmabhoomi-Tempel, der an dem Ort errichtet wurde, an dem Krishna geboren wurde. (Chat-GPT) Vrindaban, nur wenige Kilometer von Mathura entfernt, ist der Ort, an dem Krishna seine Jugend verbrachte und viele seiner Lehren und Taten vollbrachte. Die Stadt ist berühmt für ihre zahlreichen Tempel, die den verschiedenen Aspekten von Krishnas Leben gewidmet sind, sowie für die lebendige Kultur, die von Musik, Tanz und Festen geprägt ist. Vrindavan ist besonders bekannt für das Holi-Fest, das die Liebe zwischen Krishna und Radha feiert.
Auswirkungen des Pilgertums: Das Pilgertum nach Vrindavan und Mathura hat sowohl spirituelle als auch wirtschaftliche Auswirkungen. Spirituell bietet es den Gläubigen die Möglichkeit, ihre Hingabe zu vertiefen, an Ritualen teilzunehmen und die heiligen Stätten zu besuchen. Viele Pilger glauben, dass ein Besuch dieser Städte Segen bringt und zur spirituellen Erleuchtung führt. Wirtschaftlich profitiert die Region von den Pilgern, die in die Städte reisen. Hotels, Restaurants, Geschäfte und lokale Handwerker profitieren von der erhöhten Nachfrage. Allerdings kann Massentourismus auch Herausforderungen mit sich bringen, wie Überfüllung, Umweltbelastung und den Verlust traditioneller Lebensweisen. Übrigens: Vrindaban war in den 1980er Jahren lange auch ein Zentrum für die in Europa kritisch beäugte “Hare Krishna”-Sekte, junge und glatzköpfige Männer und Frauen, die auch hier Tag für Tag in Safran-farbigen Gewändern singend und Trommeln-schlagend durch die Straßen zogen. In Indien blieben sie unbehelligt. Heute findet man die Sekte hier allerdings nicht mehr.
Die Situation der armen Witwen in Vrindavan
Traditionell wurden Witwen in Indien stigmatisiert und oft aus ihren Familien ausgeschlossen. Viele von ihnen ziehen nach Vrindavan, in der Hoffnung, ein spirituelles Leben zu führen und durch ihre Hingabe an Krishna Erlösung zu finden. Die Lebensbedingungen für diese Witwen sind oft sehr schwierig. Sie leben in Armut und sind auf Almosen angewiesen, um zu überleben. Es gibt Organisationen und Initiativen, die versuchen, das Leben dieser Witwen zu verbessern, indem sie ihnen Bildung, medizinische Versorgung und Unterstützung bieten. Dennoch bleibt die Situation herausfordernd, und viele Witwen kämpfen weiterhin um Anerkennung und ein würdevolles Leben.
Umweltprobleme mit dem Fluss Yamuna: Der Yamuna, der durch Mathura und Vrindaban fließt, ist stark verschmutzt. Abwässer, industrielle Abfälle und Müll gelangen in den Fluss, was zu einer erheblichen Verschlechterung der Wasserqualität führt. Diese Verschmutzung hat nicht nur Auswirkungen auf die Umwelt, sondern auch auf die Gesundheit der Menschen, die auf das Wasser angewiesen sind. Wasserknappheit: Die Übernutzung von Wasserressourcen und die Verschmutzung haben zu Wasserknappheit in der Region geführt. Dies betrifft sowohl die Trinkwasserversorgung als auch die landwirtschaftliche Bewässerung. Ökologische Auswirkungen: Die Verschmutzung des Yamuna hat auch negative Auswirkungen auf die lokale Flora und Fauna.
English Translation
Beggars’ Council in Vrindhaban
My first impression of Vrindaban was extremely negative. The streets of this small town with about 80,000 inhabitants halfway between New Delhi and Agra were dusty and narrow, the townscape rather ugly and unremarkable, and the smells that hit your nose as you entered the old town on your way to the Yamuna River were anything but beguiling. To Western eyes and noses, the place, which attracts hundreds of thousands of Hindu pilgrims every year because of its deep connection to Lord Krishna (one of the most important Hindu deities), seemed almost repulsive. In addition, the narrow, winding alleys were crowded with beggars of all kinds, and a cacophony of different spiritual Indian music, but also blaring pop songs in Hindi, echoed from many houses and the numerous small and large temples. After a short time, I was rammed by the horn of a sacred cow in a narrow alley, which left a deep blue bruise.
Dhobis (laundrymen) and pilgrims on the banks of the Yamuna
Laundrymen, pilgrims and even a wild boar
A little later we reached the banks of the Yamuna River with its typical Indian activities: On one bank, numerous men and women, most of them scantily clad, stood and seemed to be beating the laundry in the filthy water of the river. They were dhobis, professional washermen (and -women) who wash the laundry of the population for very little money. The overwhelming majority of India’s population has neither the suitable homes nor the money for a washing machine. Watching these people at work, one wonders how it is possible that even simple and relatively poor Indians often manage to get their laundry so white despite this rough treatment in often filthy water. The dhobis were surrounded by pilgrims who, also scantily clad, immersed themselves in the shallow waters of the Yamuna before climbing the pilgrim steps to put on their discarded clothes. I took lots of photos of the hustle and bustle by the water. I also photographed the various animals – from wild boars to grey herons and, of course, the sacred cows and water buffaloes – as well as the beggars who are omnipresent in Vrindaban.
Widows’ ashram: praying to survive
The sad fate of the widows of Vrindaban
.But then, on the way back through the narrow alleys, came the shock. Suddenly we stood in front of a large old house, into which old women in thin white saris were entering from all sides. Of course, we knew about the widow ashrams in Vrindaban and that the poorest of the poor from all over India were forced to pray for hours every day to earn their meagre meals. But the pitiful sight of old women, often almost completely veiled, squatting on the floor, hurt more than I had expected. But what the local people later told us about the treatment of these helpless and defenceless women ultimately said more about the state of Indian society, especially in northern India, than about the ashrams themselves. In the densely populated north of India in particular, women face existential hardship when they are left alone after the death of their husbands. Insurance and pensions are virtually non-existent, especially in rural areas where 75 per cent of Indians live. In many parts of the subcontinent, widowed women are therefore often confronted with social stigmatisation. They can be excluded from their families. The fact that widows on the subcontinent were often burned on pyres with the corpses of their husbands, or that they threw themselves into the flames in desperation, is the result of this stigmatisation. The widow ashrams offer these women at least a safe place where they can live and find support. The suffering of these women touched me so deeply in the 1980s that on the morning of our departure from New Delhi (January 29th 1989), I wrote my last feature article out of Delhi about the widows of Vrindaban. The title: ‘Praying to survive’.
Mathura – birthplace of Krishna and paradise for sacred cows?
The bathing tanks of Mathura
My encounters with Mathura (population over 200,000), which is only a few kilometres from Vrindaban, were less emotional. Everything about this city is bigger, the streets are not as narrow, but similarly dirty, and somehow there seem to be even more of these holy cows here, which eat everything that can be chewed and are nevertheless far more than tolerated. Here, on the way to the banks of the Yamuna, we saw cows standing on the first floor of a residential building for the first time, as if they were living in another world. Presumably, the birthplace of a divine offspring like Krishna attracts even more pilgrims than the smaller Vrindaban, where the young and cheerful Krishna – similar to a Punchinello – played his pranks on the people. Here, the Yamuna River also appeared wider. The pilgrim boats were larger. But what impressed us most here were several huge ‘tanks’. These are huge structures resembling swimming pools with countless steps that pilgrims can use to reach their sacred bathing place.
Photos of Vrindaban, Mathura and these ‘tanks’ can be found on this page
BACKGROUND
Mathura is considered the birthplace of Lord Krishna, one of the most important deities in Hinduism. The city is an important pilgrimage destination and attracts believers from all over the world. The legends surrounding Krishna, especially his childhood and youth, are deeply rooted in the culture and spirituality of the region. Mathura is known for its temples, including the Krishna Janmabhoomi Temple, which was built on the site where Krishna was born. (Chat-GPT) Vrindaban, just a few kilometres from Mathura, is where Krishna spent his youth and performed many of his famous teachings and deeds. The city is famous for its numerous temples dedicated to various aspects of Krishna’s life, as well as for its vibrant culture characterised by music, dance and festivals. Vrindavan is particularly famous for the Holi festival, which celebrates the love between Krishna and Radha.
Impact of pilgrimage: Pilgrimage to Vrindavan and Mathura has both spiritual and economic impacts. Spiritually, it offers believers the opportunity to deepen their devotion, participate in rituals and visit the holy sites. Many pilgrims believe that visiting these cities brings blessings and leads to spiritual enlightenment. Economically, the region benefits from the pilgrims who travel to the cities. Hotels, restaurants, shops and local artisans benefit from the increased demand. However, mass tourism can also bring challenges, such as overcrowding, environmental pollution and the loss of traditional ways of life.
The situation of poor widows in Vrindavan
Traditionally, widows in India have been stigmatised and often excluded from their families. Many of them move to Vrindavan in the hope of leading a spiritual life and finding salvation through their devotion to Krishna. The living conditions for these widows are often very difficult. They live in poverty and depend on alms to survive. There are organisations and initiatives that try to improve the lives of these widows by providing them with education, medical care and support. Nevertheless, the situation remains challenging, and many widows continue to struggle for recognition and a dignified life.
Environmental problems with the Yamuna River: The Yamuna River, which flows through Mathura and Vrindavan, is heavily polluted. Sewage, industrial waste and rubbish enter the river, leading to a significant deterioration in water quality. This pollution not only affects the environment but also the health of the people who depend on the water. Water scarcity: Overuse of water resources and pollution have led to water scarcity in the region. This affects both drinking water supplies and agricultural irrigation. Ecological impact: The pollution of the Yamuna also has a negative impact on the local flora and fauna.