Die Nürnberger Altstadt, mehr als ein Jahr nach den 59 Luftangriffen
English translation following this report – Die Bilder von Nürnberg finden Sie hier
Nürnberg 1946 – Unveröffentlichte Fotos meines Vaters
Die schockierenden Bilder gleichen sich. Bilder von vollständig zerstörten Häusern. Vereinzelt hohe Mauern, die nach Bombenangriffen oder Artilleriebeschuss zerbrechlich in den Himmel ragen. Menschenleere Straßen, in denen ausgebrannte Fahrzeuge liegengeblieben sind, und wenige, einsame und hungrige Menschen, die in Trümmern überleben, weil sie kein Dach mehr über dem Kopf haben. Die schockierenden Bilder gleichen sich. Die systematisch zertrümmerte ukrainische Stadt Mariupol, die von den Russen dem Erdboden gleichgemacht wurde. Oder heute die Städte des Gazastreifens. die die israelische Armee gezielt unbewohnbar machte. Was geschah im Zweiten Weltkrieg mit Städten wie Hamburg, Dresden, Köln oder Nürnberg, wo die Bombardierung durch die Briten innerhalb von Stunden zehntausende Menschen getötet und Hunderttausende obdachlos gemacht hat?
Die gezielte Bombardierung ziviler Objekte und die bewusste Tötung oder Ermordung von Zivilisten im Krieg ist nach der Genfer Konvention ein Kriegsverbrechen. Das trifft natürlich auch für Hiroshima und Nagasaki zu, wo zwei Atombomben jeweils bis zu 70 000 Menschen innerhalb von Minuten töteten. Niemand wurde für diese Kriegsverbrechen angeklagt. Hatte die Deutsche Luftwaffe nicht zuvor im Luftkrieg gegen Großbritannien knapp 60 000 Briten ermordet und die Stadt Coventry zerstört? Noch heute liegen Tausende WW2-Bomben überall in London unter der Erde und unter neuen Gebäuden begraben. Hier wurden durch die Bombardierung 1,4 Millionen Menschen obdachlos.
Ich zeige hier heute Fotos, die mein Vater, Leonhard Fürst, vermutlich 1946 von seiner nahezu völlig zerstörten Heimatstadt Nürnberg machte. Begleitet wurde er von seiner ältesten Tochter Barbara, die damals gerade einmal etwa sechs Jahre alt war. Ich glaube nicht, dass diese Bilder jemals zuvor veröffentlicht wurden. Vermutlich hatte unser Vater sie im Auftrag eines Verlags gemacht, denn er musste ja seine inzwischen fünfköpfige Familie ernähren. Alle Bilder aus diesen zerstörten Städten machen fassungslos. Sie alle gleichen sich.
Hunderttaausende Brandbomben für ein Inferno in den Straßen
Bomben gegen Städte, Brandbomben gegen Menschen
Vor 80 Jahren, am 2. Januar 1945, starten mehr als 500 Bomber der britischen “Königlichen Luftwaffe” voll beladen mit Bomben in Richtung Nürnberg. Gegen Abend überfliegen die ersten Maschinen die von Schnee bedeckten Dächer der mittelalterlichen Altstadt. In insgesamt 59 Angriffswellen fallen auf die Häuser und die Burg nach amtlichen Schätzungen rund 6 000 Sprengbomben und mehrere Hunderttausend Brandbomben. Die Briten setzen Bomben ein, die nicht sofort explodieren. Sie entfalten ihre Sprengkraft erst, wenn sie bereits in die Gebäude eingedrungen sind.
Nürnberg, die Stadt des “Reichsparteitags” wird zu 90 Prozent zerstört, die Altstadt mit ihren vielen Fachwerkhäusern im Umkreis der Burg sogar zu 95 Prozent. Für die Briten galt die Stadt in Franken als Zentrum der Nazi-Propaganda. Immerhin fand hier schon 1923 (bis 1938) der erste Parteitag der Nationalsozialisten statt. Mit der Zerstörung sollte wohl auch ein Nazi-Symbol vernichtet werden. Nach offiziellen Angaben starben durch die Luftangriffe 1 835 Menschen, 100 000 wurden obdachlos.
Mehr als ein Jahr danach ist die Zerstörung allgegenwärtig
Nach den ersten beiden Angriffswellen mit Sprengbomben folgte eine dritte Welle, bei der die britischen Bomber etwa eine Million Stabbrandbomben auf die Stadt abwarfen und damit ein Inferno entfachten. Drei Monate später marschierten US-amerikanische Truppen in der Stadt ein (zwischen dem 16. und 21. April 1945), was zu heftigen Gefechten führte. Etwas mehr als zwei Wochen später folgte dann die bedingungslose Kapitulation Deutschlands.
Der Autor und Fotograf Leonhard Fürst 1936
Mein Vater, Leonhard Fürst, war als Soldat bis zum Kriegsende in Norditalien stationiert. Er erlebte die Kämpfe um seine Geburtstatdt Nürnberg aus der Ferne, und seine ganze Sorge galt seiner Familie, die sich zum Zeitpunkt dieser Kämpfe im April 1945 in seinem Heimatdorf südlich von Nürnberg aufhielt. In seínem Lebenslauf schildert er am 19.9.1945 seine Gefühle im Angesicht der Zerstörung:
“… am 13. Juni 1904 wurde ich in Nürnberg geboren. Das Denken meiner Jugend, der Strom meiner Fantasie ging aus von den magischen Kräften dieser ehemals einzig schönen Stadt. Mein Leben ist bis heute ihrer Geschichte und jener der großen Künstler verbunden geblieben, die in ihr geboren wurden oder in ihr lebten und denen die heute zerstörten, unvergleichlichen und unersetzbaren Bauwerke und Denkmäler einer vergangenen Kultur zu danken sind. Ich liebe auch heute noch die Steine, die aus dem Staub dieses riesigen Trümmerfelds ragen, so wie ich das verwüstete Grab liebe, das meine Eltern birgt….”
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“Bomber” oder “Schlächter” Arthur Harris:
Der 1892 geborene Arthur Harris ist bis heute eine der umstrittensten Figuren der britischen Kriegsgeschichte im Zweiten Weltkrieg. Zwar war er nicht der Vater der Idee, Deutschland durch massive und vor allem gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Flächenbombardements zur Aufgabe zu zwingen, doch setzte er sie gnadenlos um, obwohl es dagegen sehr viele und laute Proteste aus Politik und Öffentlichkeit gab. “Sie haben Wind gesät und werden Sturm ernten”, wurde Harris zitiert, der als “Luftmarschall” die Royal Airforce mit in den USA gekauften Bomber-Flugzeugen massiv aufrüsten ließ. Tatsächlich entwickelte die Airforce unter seinem Befehl die Angriffstechniken, die nicht nur zwei Dutzend deutscher Städte massiv zerstörten, sondern den Tod Hunderttausender Zivilisten fast schon garantierten. (Details zur britischen Angriffstaktik finden Sie hier) Harris und seine Anhänger begründeten die völkerrechtswidrigen Angriffe mit den zahllosen deutschen Angriffen der deutschen Luftwaffe während des “Bltzkriegs” 1940/41, dem insgesamt fast 50 000 Briten zum Opfer fielen. Er starb 1984 verbittert über die Ablehnung seiner Flächenbombardements in GB. Dass die gesamte Luftkriegskampagne damit gegen die Genfer Konvention verstieß, störte ihn wenig, ja er nannte sie sogar “ziemlich human”! Dennoch bleibt der “Bomber Harris”, der in seiner eigenen Luftwaffe auch “der “Schlächter Harris” genannt wurde, umstritten. Ein ihm 1992 gesetztes Denkmal wurde innerhalb weniger Stunden von Gegnern mit Farbe übergossen und beschädigt, so dass es monatelang bewacht werden musste.
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Nuremberg’s old town, more than a year after the 59 air raids
English translation following this report – Pictures of Nuremberg can be found here
Nuremberg 1946 – Unpublished photos taken by my father
The shocking images are similar. Pictures of completely destroyed houses. Isolated high walls, fragile and towering into the sky after bomb attacks or artillery fire. Deserted streets littered with burnt-out vehicles and the occasional lonely and hungry people surviving in the rubble because they no longer have a roof over their heads. The shocking images are similar. The systematically destroyed Ukrainian city of Mariupol, which has been razed to the ground by the Russians. Or today, the cities of the Gaza Strip, which the Israeli army is deliberately making uninhabitable. What happened in the Second World War to cities such as Hamburg, Dresden and Nuremberg, where British bombing killed tens of thousands of people and left hundreds of thousands homeless within hours?
The deliberate bombing of civilian targets and the deliberate killing or murder of civilians in war is a war crime under the Geneva Convention. This also applies, of course, to Hiroshima and Nagasaki, where two atomic bombs killed around 70,000 people within minutes. No one was ever charged with these war crimes. After all, the German Air Force had previously murdered nearly 60,000 Britons in the air war against Great Britain and destroyed the city of Coventry. Even today, thousands of WW2 bombs lie buried underground and under new buildings throughout London.
Today, I am showing photos that my father, Leonhard Fürst, probably took in 1946 of his almost completely destroyed hometown of Nuremberg. He was accompanied by his eldest daughter Barbara, who was only about six years old at the time. I don’t believe these pictures have ever been published before. Our father may have taken them on behalf of a publisher, because how else could he have fed his family of five? All the pictures of these destroyed cities are shocking. They are somehow interchangeable.
Hundreds of thousands of incendiary bombs create an inferno in the streets
Bombs against cities, incendiary bombs against people
On 2 January 1945, more than 80 years ago, more than 500 bombers of the British Royal Air Force took off for Nuremberg, fully loaded with bombs. Towards evening, the first planes flew over the snow-covered roofs of the old town. In a total of 59 waves of attacks, according to official estimates, around 6,000 high-explosive bombs and several hundred thousand incendiary bombs fell on the partly medieval houses and the castle. The British used bombs that did not explode immediately. They only detonated once they had penetrated the buildings.
On this page of Nuremberg, eyewitnesses describe the inferno caused by the British air raids:
Nuremberg, the city of the ‘Reich Party Congress’, was 90 per cent destroyed, with 95 per cent of the old town with its many half-timbered houses around the castle destroyed. The British considered the city in Franconia to be the centre of Nazi propaganda. After all, it was here that the first National Socialist party conference took place in 1923 (until 1938). The destruction was therefore also intended to destroy a Nazi symbol. According to official figures, 1,835 people died in the air raids and 100,000 were left homeless.
More than a year later, the destruction is still omnipresent.
After the first two waves of attacks with explosive bombs, a third wave followed, in which British bombers dropped an estimated one million incendiary bombs on the city, creating an inferno. Three months later, US troops marched into the city (between 16 and 21 April 1945), leading to fierce fighting. A little more than two weeks later, Germany capitulated unconditionally.
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The author and photographer Leonhard Fürst in 1936
My father, Leonhard Fürst, was stationed as a soldier in northern Italy until the end of the war. He witnessed the fighting around his hometown of Nuremberg from afar, and his entire concern was for his family, who were staying in his home village south of Nuremberg at the time of the fighting in April 1945. In his autobiography, he describes his feelings in the face of destruction on 19 September 1945:
“… I was born in Nuremberg on 13 June 1904. The thoughts of my youth, the flow of my imagination, sprang from the magical powers of this once uniquely beautiful city. To this day, my life has remained connected to its history and to that of the great artists who were born or lived there and to whom we owe the now destroyed, incomparable and irreplaceable buildings and monuments of a bygone culture. Even today, I still love the stones that rise from the dust of this vast field of rubble, just as I love the devastated grave that holds my parents….”
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‘Bomber’ or ‘Butcher’ Arthur Harris:
Born in 1892, Arthur Harris remains one of the most controversial figures in British wartime history during the Second World War. Although he was not the originator of the idea of forcing Germany to surrender through massive area bombing, primarily targeting the civilian population, he implemented it mercilessly, despite numerous and vocal protests from politicians and the public. ‘You have sown Wind and you will reap the Storm,’ Harris was quoted as saying. As Air Marshal, he had the Royal Air Force massively re-equipped with bombers purchased in the United States. Under his command, the Air Force developed attack techniques that not only destroyed two dozen German cities, but also virtually guaranteed the deaths of hundreds of thousands of civilians. (Details on British attack tactics can be found here) Harris and his supporters justified the attacks, which violated international law, with the countless German attacks by the German Luftwaffe during the ‘Blitzkrieg’ of 1940/41, which claimed the lives of almost 50,000 British citizens. He died in 1984, embittered by the rejection of his carpet bombing in the UK. The fact that the entire air war campaign thus violated the Geneva Convention did not bother him much; he even called it ‘quite humane’! Nevertheless, ‘Bomber Harris’, who was also known as ‘Butcher Harris’ in his own air force, remains controversial. A monument erected in his honour in 1992 was doused with paint and damaged by opponents within a few hours, so that it had to be guarded for months.
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